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Cannery Row ist mehr als nur eine Straße, es ist die Gegend der Ölsardinen und
Konservenbüchsen, ist ein Gestank und ein Gedicht, ein Knirschen und Knarren,
ein Leuchten und Tönen, ist eine schlechte Angewohnheit, ein Traum. Cannery Row
- in Monterey, Kalifornien, zusammen- und auseinandergeschleudert - besteht aus
Alteisen, Blech, Rost, Hobelspänen, aufgerissenem Pflaster, Baustellen voll
Unkraut und Kehrichthaufen, aus Fischkonservenfabriken in Wellblechschuppen, aus
Wirtschaften, Hurenhäusern, Chinesenhütten, Laboratorien, Läden voll Kram, aus
Lagerhallen und faulen Fischen. Die Bewohner? Huren, Hurensöhne, Kuppler,
Stromer und Spieler, mit einem Wort: Menschen; man könnte mit gleichem Recht
sagen: Heilige, Engel, Gläubige, Märtyrer - es kommt nur auf den Standpunkt an.
Frühmorgens, wenn die
Sardinenflotte vom Fang heimkehrt, dümpeln schwerfällig die Fischkutter in die
Bucht herein und lassen ihre Sirenen hören. Die tiefbeladenen Boote landen da,
wo die Konservenfabriken ihre Schwänze ins Meerwasser tauchen. Das Bild ist mit
Absicht gewählt, denn sagte ich, daß die Sardinenfabriken ihre Mäuler ins Meer
tauchten, so böten die verlöteten Fische, die am anderen Ende zum Vorschein
kommen, keinen Anlaß zu einem schöneren Vergleich.
Die Fabriksirenen
heulen und im ganzen Ort klettern Männer und Frauen in ihre Kleider, rennen zur
Cannery Row hinunter und an die Arbeit. Chromblitzende Wagen befördern die
Oberaufseher, Buchhalter, Fabrikbesitzer in ihre Büros. Ein Strom italienischer,
polnischer und chinesischer Arbeiterinnen und Arbeiter in Gummihosen,
Gummijacken und Wachstuchschürzen ergießt sich talab, die gefangenen Fische zu
schneiden, zu putzen, zu kochen, zu verpacken und zu verlöten.
Die ganze Gasse
ächzt, stöhnt, grunzt, kreischt, rattert, während sich die Fischflut in
silbernen Bächen ergießt. Die Boote heben sich höher und höher, bis sie entleert
sind. In den Konservenschuppen klappert, knarrt, schreit und quietscht es, bis
der letzte Fisch gesäubert, zerteilt, gekocht und verpackt ist. Abermals heulen
die Sirenen, und die triefenden nach Fisch riechenden, abgehetzten 'Polacken', 'Wops',
und 'Chinamen' kommen wieder zum Vorschein und ziehen mit hängenden Köpfen
bergan. Die Cannery Row kommt zu sich und wird, wie sie war, zaubrisch und
still. Ihr eigentliches Leben kehrt wieder. Die Stromer, die sich angewidert vom
Arbeitsgetriebe unter eine dunkle Zypresse zurückzogen, hocken wieder auf den
verrosteten Röhren der Baustelle, die niemand bebaut. Die Mädchen aus Doras Haus
kommen ein bißchen an die Sonne, sofern sie da ist. Der Doktor vom Western
Biological Laboratory, der in der Gasse nie anders als Doc genannt wird,
schlendert über die Straße, um in Lee Chongs Kramladen zwei Flaschen Bier
einzukaufen. Henri, der Maler, durchschnüffelt wie ein Airedale den Abfallhaufen
einer grasbewachsenen Parzelle nach Holz und Metallteilen, die er für seinen
Bootsbau braucht.
Die Dunkelheit bricht
herein. Vor Doras Freudenhaus flammt ein nie abnehmender Mond als Hauslampe auf.
Kunden des Western Biological statten Doc einen Besuch ab, und dieser holt bei
Lee Chong vis-à-vis noch fünf Flaschen Bier.
Wie soll man es in
seiner Lebendigkeit einfangen, dies Gedicht, dies Getön und Geleuchte, dies
schlurfende, scharrende Traumgetriebe?
Es gibt Seegetier von
so heikler Beschaffenheit, daß es einem unter den Händen zerbricht oder
zerrinnt, wenn man es fangen will. Man muß ihm Zeit lassen, bis es von selbst
auf eine Klinge kriecht, die man ihm hinschiebt, und es dann behutsam aufhaben
und in einen Behälter mit Meerwasser gleiten lassen.
Auf ähnliche Art muß
ich wohl dieses Buch schreiben: die Blätter hinlegen und es den Geschichten
überlassen, darüber hinzukriechen.
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